Text: Christian / Bilder: Carola
Wie erging es uns denn so?
Dieses Jahr war ein besonderes Abenteuer. Neun Monate auf unserem Segelboot, quer durchs Mittelmeer. Gemeinsam segelten wir von Griechenland über Sizilien, Sardinien, Korsika und die Balearen bis zur spanischen Festlandküste. Es war eine Reise, die uns viel gelehrt hat – über das Segeln und das Leben auf dem Boot, über uns selbst und über die Essenz dessen, was uns wirklich wichtig ist.
Ein Schritt ins Ungewisse
Wie würde das Leben über eine so lange Zeit auf dem Boot sein? Finden wir gute Ankerplätze? Meistern wir Wind und Wetter? Vor allem: Wie lange halten wir das Bootsleben durch?
Neun Monate ohne festen Wohnsitz und in ständiger Bewegung. Fragen über Fragen. Es war eine Herausforderung, die uns wachsen liess.
Das Leben an Bord
Das einfache Leben auf dem Segelboot hat seinen Reiz. Alles Wichtige war an Bord, doch die neue Routine forderte uns: Wetter, Wind und Wellengang prüfen, Routen planen, Ankerplätze recherchieren. Das Boot auf Kurs zu halten, Segel trimmen, den Schiffsverkehr im Auge behalten, essen, schlafen – und all das auch mal während einer Nachtfahrt. Es bedeutete Verantwortung.
Die Bewältigung des Alltags nahm mehr Zeit in Anspruch als an Land: Einkaufen, Waschen, Trinkwasser produzieren, Energie kontrollieren, das Boot Instandhaltern und reparieren – all das dauerte länger. Wie die bekannte Baumarkt-Werbung sagt: «Es gibt immer etwas zu tun».
Das Leben auf einem Boot ist keine Ferienreise. Schliesslich haben wir unseren bisherigen Alltag aufs Boot verlegt und dabei zusätzliche Aufgaben übernommen. Oft waren wir abends erschöpft, aber zufrieden. Während das Leben in der Wohnung ein relativ gleichförmiger Strom war, erlebten wir nun ein ständiges Auf und Ab. Die jeweilige Situation bestimmte vieles.
Auch das enge Zusammenleben lehrte uns, gelegentlich Abstand zu nehmen, um die Partnerschaft im Gleichgewicht zu halten. Wir fühlten uns freier, aber gleichzeitig auch verletzlicher – den Naturgewalten mehr ausgesetzt.
Doch das Leben auf dem Meer entschädigte für all die Mühe. Unvergesslich bleiben die Begegnungen mit den Delfinen, die fantastischen Sonnenuntergänge vor Anker in schönen Buchten und die magischen Momente unserer Nachtfahrten. Es gibt wenig schöneres, als nach dem Aufstehen einen ersten Kaffee im Cockpit zu trinken und dabei den Blick über das Wasser schweifen zu lassen.
Was wir vermisst und gewonnen haben
Haben wir das Leben in der Wohnung vermisst? Nein. Das Bootsleben war befreiend. Wir vermissten keine zusätzliche Wohnfläche und auch nicht die vielen Dinge, die zu Hause meist nur herumstehen.
Wir erkannten, wie wenig vom bisherigen, festen Wohnsitz wir tatsächlich brauchen, um zufrieden zu sein. Auf dem Boot hatten wir alles, was wir benötigten und uns wünschten.
Es ist etwas anderes, dass einen mit der Zeit ein bisschen Müde werden lässt; das ständige Unterwegssein. Neue Orte zu entdecken und die ständige Bewegung des Bootes zehrten an Körper und Geist. Der Wunsch wuchs zunehmend, irgendwo länger zu verweilen – nicht unbedingt im alten Zuhause, aber an einem schönen Ort auf unserer Reise.
Nicht zu unterschätzen war auch die andauernde Sommerhitze. Sie lehrte uns, Auszeiten einzuplanen.
Das Ankommen
Nach so langer Zeit unterwegs war das Ankommen an einem neuen Ort immer wieder ein befreiendes Gefühl. Die Tage und Orte verschwammen, oft wussten wir nicht mehr, wo wir vor wenigen Tagen waren. Die fortwährende Planung – Einkäufe, der Besuch im Waschsalon, Instandhaltungsarbeiten – wurde zu einer neuen Konstante.
Am Ende der Segelsaison war jedoch klar: Wir möchten weitermachen. Eine neue Routine und Gelassenheit hatten sich eingestellt, die wir nicht mehr missen möchten.
Vor Anker – Spropolo (Italien 🇮🇹)
Vor Anker – Pointe de la Parata (Korsika 🇫🇷)
Vor Anker – Es Trenc (Mallorca 🇪🇸)
Die Rückkehr nach Hause
Zurück in der Wohnung hat sich einiges verändert. Wir sind lärmempfindlicher, meiden grosse Menschenmengen und merken, dass früher Liebgewonnenes teilweise an Bedeutung verloren hat.
Gleichzeitig haben wir eine innere Zufriedenheit und Ruhe gefunden. Nicht mehr ständig für das Boot verantwortlich zu sein, ist entspannend. Wir geniessen es, Familie und Freunde zu treffen.
Was bleibt
Dieses Jahr hat uns zusammengeschweisst und gelehrt, mehr im Moment zu leben. Die Mühen und Freuden des Bootlebens gehören untrennbar zusammen. Wir haben erfahren, wie flexibel der Mensch ist und wie er sich an neue Situationen anpassen kann.
Neun Monate mögen lang erscheinen, und doch wären wir an vielen Orten gerne länger geblieben. Die Reise hat uns auch gezeigt, wie ermüdend das ständige Unterwegssein ist.
Das Jahr war intensiv und inspirierend. Wir durften viel über das Leben auf einem Segelboot und über uns selbst lernen. Unser Horizont hat sich erweitert, und vieles, von dem wir dachten, es sei unverzichtbar, hat an Bedeutung verloren. Es ist spannend zu erkennen, wie wenig man tatsächlich braucht.
Gleichzeitig ist das Leben auf einem Boot oft anstrengend – das darf man nicht beschönigen. Die wunderbaren und die mühsamen Momente liegen meist nahe beieinander.
Nicht zu vergessen die vielen wundervollen Begegnungen mit liebevollen und hilfsbereiten Menschen.
Wir wissen jetzt, dass es funktioniert. Eine neue Routine hat sich eingeschlichen, die uns Freude bereitet. Dafür sind wir dankbar.
Was kommt
Im Herbst fragten wir uns: „Hast du genug, oder willst du weitermachen?“
Wir wollen weitermachen. Warum? Wir sind jetzt so richtig auf den Geschmack gekommen. Eine neue Gelassenheit und Routine sind Teil unseres Lebens geworden.
Deshalb hängen wir eine weitere Saison an, unabhängig von unseren ursprünglichen Plänen. Wohin es gehen soll, entscheiden wir dann unterwegs.
Dieser Beitrag hat einen Kommentar
Der Blick zurück mit rtwas Wehmut. Bevor eine neue Segelsaison beginnt kommt die grosse Revisionsarbeit.